Deutsche Märchenstunden
In Deutschland sind der Schlagzeilen über Afghanistan gar nicht so viele, wie man annehmen möchte, wenn man bedenkt, dass die Bundeswehr dort 20 Jahre als militärische Besatzungsmacht tätig war und nun mit Schimpf und Schande verjagt wurde.
Will denn niemand wissen, wie es jetzt weiter geht?
Man spekuliert: wieviel Territorium kontrollieren die Taliban? 76%? 82%? 85%?
Genau die wichtigen Fragen!
Manch Medium jubiliert: „Heißa Jucheee! Frauen bewaffnen sich, um die Machtübernahme der Taliban zu verhindern!“ Illustriert durch eines der üblichen Fotos von irgendwelchen südländisch aussehenden Frauen mit Kalaschnikows, an welchen sich die modernen, progressiven Recken und Reckinnen des weltbefreienden Westens so gerne aufgeilen, welcher Fraktion auch immer man angehört, Weltrevolutionäre, Bringer-der-Demokratie…
Es ist ja schön von den Deutschen, die mit so komplexen politische Problemen konfrontiert sind, wie dass die böse UEFA verbietet, ein Stadion während eines Fußballspiels in Regenbogenfarben erleuchten zu lassen, um irgend einem ungarischen Politiker eines auszuwischen, in al den Strapazen noch die Frauen tausende Kilometer weit weg trotz solcher Herausforderungen nicht zu vergessen.
War doch deutsche Ritterlichkeit das wahre Motiv, in Afghanistan einzureiten, der Wunsch, kleinen Mädchen in Kabul den Schulbesuch zu ermöglichen und dafür war es nun mal nötig, die fiesen, alten Typen mit Turban, die die Eingangstüren der Klassenzimmer Krummsäbel-schwingend versperrten, mit der eigenen geballten Faust zu vertreiben.
Aber ich muss euch enttäuschen: solche Meldungen sind banale moderne CIA-Propaganda; die wissen, dass in Deutschland (und USA, aber ich bleibe jetzt mal in Deutschland) die Weltverbesserer auf solche Meldungen anspringen wie ein ausgehungerter Hund, dem man ein saftiges, rohes Argentinischen Steak hinwirft.
Bitte, liebe Weltverbesserer weit jetzt nicht, aber meine Recherchen in der internationalen Presse lassen nur einen Schluss zu: nach 42 Jahren Krieg, davon die letzten 20 Jahre antikolonialer Widerstandskrieg gegen die Bringer der Demokratie, sind sich in Afghanistan fast alle einig: man will jetzt einen umfassenden, dauerhaften Frieden erreichen!
Es gibt Kräfte, denen das nicht schmeckt. Mächtige sogar. Der globalen Drogenmafia etwa. Auch weniger mächtige. Die von der NATO eingesetzte Regierung in Kabul kommt einem in den Sinn.
85% der afghanischen Bevölkerung, las ich am Wochenende, lehnten die Taliban ab, habe eine Umfrage irgend eines Instituts – keine Ahnung mehr welches, eines der üblichen – herausgefunden.
Wow, die müssen echt Zauberkräfte haben, die Taliban, wenn die 20 Jahre lang gegen die NATO kämpfen können, obwohl die NATO 85% der Bevölkerung in Afghanistan vertritt. Das erklärt dann wohl, wie es zu der Annahme kam, dass einige der Geschichten, die Scheherazade erzählt, aus diesem Lande stammen sollen.
Moskauer Ergebnisse
Das Außenministerium der Russischen Föderation veröffentlichte eine Presseerklärung zu den Gesprächen, die in Moskau stattfanden.
On July 8, Special Presidential Representative for Afghanistan Zamir Kabulov held consultations with a delegation from the Taliban’s political office. The discussion focused on the situation in the Islamic Republic of Afghanistan and the prospects for starting intra-Afghan talks.
The Russian side voiced their concern over the mounting tensions in the northern regions of Afghanistan and urged [the Taliban] not to allow these tensions to spread outside the county. The Taliban delegation reassured the Russian side that the Taliban would not violate the borders of the Central Asian counties and also provided guarantees of the safety of foreign countries’ diplomatic and consular missions in Afghanistan.
The representatives of the Taliban reaffirmed their interest in securing a lasting peace in their country through negotiations, taking into account the interests of all ethnic groups living in the country, as well as their readiness to observe human rights, including the rights of women, in keeping with Islamic standards and Afghan traditions.
It was separately emphasised that the Taliban is firmly determined to ward off the threat of ISIS in Afghanistan and eradicate drug production in the country after the end of the civil war.
„Am 8. Juli hielt der Sonderbeauftragte des Präsidenten für Afghanistan, Zamir Kabulov, Konsultationen mit einer Delegation des politischen Büros der Taliban ab. Im Mittelpunkt des Gesprächs standen die Lage in der Islamischen Republik Afghanistan und die Aussichten für die Aufnahme innerafghanischer Gespräche. Die russische Seite äußerte ihre Besorgnis über die zunehmenden Spannungen in den nördlichen Regionen Afghanistans und forderte [die Taliban] auf, nicht zuzulassen, dass sich diese Spannungen außerhalb des Landes ausbreiten. Die Taliban-Delegation versicherte der russischen Seite, dass die Taliban die Grenzen der zentralasiatischen Länder nicht verletzen würden, und gaben Garantien für die Sicherheit der diplomatischen und konsularischen Vertretungen anderer Länder in Afghanistan. Die Vertreter der Taliban bekräftigten ihr Interesse an der Sicherung eines dauerhaften Friedens in ihrem Land durch Verhandlungen unter Berücksichtigung der Interessen aller im Lande lebenden ethnischen Gruppen sowie ihre Bereitschaft, die Menschenrechte, einschließlich der Rechte der Frauen, im Einklang mit den islamischen Normen und afghanischen Traditionen zu gewährleisten. Es wurde gesondert betont, dass die Taliban fest entschlossen sind, die Bedrohung durch ISIS in Afghanistan abzuwehren und die Drogenproduktion im Land nach dem Ende des Bürgerkriegs auszumerzen.“
Zwar stehen die Taliban noch auf Moskaus Liste der terroristischen Organisationen, aber das Treffen in Moskau zeigt, dass es eine Bereitschaft gibt, sie von dieser zu streichen. Konflikte zwischen der UdSSR und Afghanistan, bzw. den Taliban, gehören der Vergangenheit an und sind keine Probleme zwischen der Russischen Föderation und den Taliban, auch wenn keine Seite übereilt zu handeln gedenkt.
Noch ist der Frieden in Afghanistan nicht gesichert!
Störfaktoren…
Viele Kommentatoren sehen in dem Abzug der USA und der NATO eine Finte. Sie glauben, es stecke eine besonders böse strategische Idee der USA dahinter.
Ich denke, das basiert auf der tief in die Gehirne eingegrabenen Vorstellung von der amerikanischen Übermacht.
Natürlich ist die Wühlarbeit der Geheimdienste damit nicht beendet und ich haben keinen Zweifel, dass die USA und ihre Satelliten wie die BRD alles daran setzen werden, Bürgerkrieg anzuheizen. Eingangsbeispiel „Frauen bewaffnen sich“ und ich würde mich nicht wundern, wenn Berichte von einer LGBTQIA+comunity in Kabul und Kandahar die Runde machen, die „den Widerstand gegen die Taliban anführen“. Ab und zu konnte man in den letzten Monaten schon solche aufpoppen sehen.
Aber unterm Strich überschätzen diese Kommentatoren die USA und unterschätzen die Region. Die Niederlage der NATO ist wahr! Zwar konnte der Militärisch-Industrielle Komplex mit diesem Krieg Geld scheffeln bis zum Abwinken, aber eine Fortsetzung würde die Wirtschaftskraft der USA dennoch überfordern. Denn was geschieht ist ja eine Umverteilung von zivil erwirtschaftetem Geld, das der Staat einsammelt und der Rüstungsindustrie weitergibt. Nun taucht aber genau da das Problem auf, dass die zivile Wirtschaft in den USA in weiten Teilen am Abkacken ist. Sinkendes Steueraufkommen bei steigenden Staatsausgaben bei unbedeutenden Sozialleistungen führt auch in den USA mittelfristig zu Destabilisierung. Die haben dort ja noch nicht einmal Hartz4, was zumindest das gröbste auffängt.
Das Imperium hätte noch einige Jahre weiter Krieg führen können. Aber das hätte die Taliban weiter gestärkt und das Imperium geschwächt. Wir sprechen von einem Krieg, der bereits verloren gewesen war, ehe die ersten amerikanischen Soldaten aus dem Truppentransporter stiegen.
Als gewichtiges Problem hat die Türkei sich herausgestellt. Kein bleibendes, aber ein Hindernis groß genug, den Frieden im Lande hinauszuzögern. Das ist das Ärgernis mit der Türkei seit 10 Jahren: sie ist zu schwach, um zu siegen, aber zu stark um zum Aufgeben gezwungen werden zu können.
Erdogan will den Flughafen von Kabul militärisch „sichern“. dem haben die Taliban beriets klar geantwortet, dass sie jede militärische Präsenz der Türkei auf afghanischem Territorium als ausländische Besatzer bekämpfen werden. Ob Erdogan, der es weder in Syrien noch in Libyen geschafft hat, militärische Erfolge halten zu können, sich ausgerechnet mit den Taliban anlegen sollte… Na ich weiß ja nicht. Die Taliban sind eine sehr viel größere Nummer als Khalifa Hafter und an dem beißen die Türken sich die Zähne aus!
Ob das „syrische Konzept“, Afghanistan mit IS-Söldner zu fluten, erfolgreich sein wird, bezweifle ich.
…und Perspektiven
Aus gutem Grunde.
Hier hatte ich in den letzten Tagen etwas hinzugelernt! Also einiges freilich, aber eine spezielle Sache meine ich.
Bisher hatte ich die Information, dass die militanten Uiguren eng mit den Taliban verbündet seien. Dem haben die Taliban jetzt explizit widersprochen!
Zwar war es vor 20 Jahren um Kontakte der Uiguren nach Afghanistan gegangen, allerdings waren das eben damals die Al-Kaida-Strukturen, mit denen die Uigurischen Islamisten zusammengehörten und es sind heute die IS-Strukturen.
Ausdrücklich – ich betone, ausdrücklich! – haben die Taliban der Regierung der Volksrepublik China Zusammenarbeit im Kampf gegen die IS-assoziierten Uigurischen Verbände zugesichert!
Sie nannten China wörtlich „einen Freund“ und drückten auch den Wunsch aus, zukünftig in allem eng zusammenzuarbeiten!
Das ist viel, viel größer als gute Nachbarschaft und Bündnis gegen einen gemeinsamen Feind!
Denn jetzt kommt auch Pakistan mit ins Spiel und die Belt and Road Initiative, in der Afghanistan aufgrund des NATO-Krieges ein schmerzhaft fehlendes Puzzle-Teil gewesen ist!
Chinas und Pakistans Interesse an guten Beziehungen zu Afghanistan kann gar nicht groß genug sein. Auch das Iran-China-25-Year-Cooperation-Programm würde sehr vereinfacht und One Belt One Road kann schon alleine dadurch immens gewinnen, dass in Zukunft auch Afghanistan eingebunden würde und als ein zentraler Knotenpunkt wirken könnte, wie der einfache Blick auf die Karte zeigt:
Ein befriedetes, stabiles Afghanistan wäre für die gesamte Region der größte, denkbare Gewinn!
Mit dem Abzug der NATO ist dieser Traum in greifbare Nähe gerückt und bisher haben die Taliban in Bezug auf eine Perspektive, diesen Traum auch zu verwirklichen, alles richtig gemacht!
Mit Ausnahme ausländischer, staatlicher Kräfte, die sich die Herrschaft über Afghanistan aneignen wollen, islamistischer Söldner und der Drogenmafia reichen die Taliban allen die Hand zu Verhandlungen, die jedem seinen Platz in der Zukunft Afghanistans schaffen sollen. Die Taliban sind die mächtigste politische Kraft im Land. Ob es einem gefällt oder nicht, es ist die mächtigste Kraft, mit der sich die schwächeren arrangieren müssen, nicht umgekehrt.
Wenn ich alles zusammenrechne, kann ich mir gut vorstellen, dass das Treffen in Moskau auch eine Prüfung war.
Diesen Monat noch findet ein Kongress der Shanghai Cooperation Organisation (Besonders die Karte im Link beachten!) statt.
In diesem mit jedem Jahr an Bedeutung gewinnendem Gremium (Ist das der korrekte Terminus?) hat Afghanistan Beobachterstatus mit Beitrittsperspektive. Moskau wollte auf den Zahn fühlen, ob eine Taliban-dominierte Regierung als Partner geeignet sein wird. Die kurze Stellungnahme des Russischen Außenministeriums teilt mit, dass die Taliban den Test bestanden haben!
The future has just begun!